Ein gesundes System?

Ein gesundes System?

Wie kann es eigentlich sein, dass es in unserem Gesundheitssystem – also dem System, dass alle Menschen gleich und entsprechend ihrer Bedürfnisse behandeln soll – immer noch so viele Ungerechtigkeiten gibt. Es ist ja nicht so, als würde wir nicht in einem der reichsten Länder der Welt leben. Aber in unserem Gesundheitssystem ist Sexismus und Rassismus an der Tagesordnung. Es fühlt sich fast so an, als würde kein Tag vergehen, an dem man selbst als Teil dieses Systems nicht solche Situationen hautnah miterlebt. Doch lasst es mich konkret machen:

Der Gender Health Gap1 spielt immer noch eine große Rolle in der modernen Medizin. So werden Frauen statistisch gesehen, schon im Rettungsdienst teilweise schlechter behandelt als Männer. Eine Kohortenstudie von Gomez et al aus dem Jahr 2022 zeigte sich zum Beispiel, dass Frauen prinzipiell seltener als Männern bei gleichem Verletzungsmuster für die weitere Versorgung in ein Traumazentrum transportiert wurden. Auch bei Fragen der Transportpriorisierung zeigt sich bei gleichem Erkrankungs-/Verletzungsmuster ein signifkanter Unterschied zwischen Männern und Frauen (Rubenson Wahlin et al., 2016).

Doch auch in der Notaufnahme zeigen sich klare Unterschiede. So werden bei Frauen Schmerzen seltener Ernst genommen und diese erhalten seltener eine angemessene Schmerztherapie. Dabei spielen auch Geschlechterstereotype eine entscheidene Rolle. So wird nach eine Studie bei Frauen eher angenommen, dass die Symptome eine psychosomatische Ursache haben als bei Männern (Sieverding & Kendel, 2012). Das wird dabei besonders deutlich, dass bei Frauen mit Endometriose zwischen dem ersten Arztkontakt wegen der starken Menstruationsbeschwerden und der finalen Diagnose bisher teilweise über zehn Jahre vergehen. Dabei spielt unter anderem auch eine Rolle, dass immer wieder sogar von Mitarbeiter*innen im Gesundheitssystem angenommen wird, dass starke Schmerzen zur Menstruation dazu gehören. Auf dem Weg zur Diagnose finden bei vielen Vorstellungen in Notaufnahme, Alarmierungen des Rettungsdienstes und nicht-ernstnehmen auf vielen Ebenen des Gesundheitswesens statt.

Wenn Rassismus und Sexismus dann in der Notaufnahme zusammen kommen, reden viele Mitarbeitende von „Morbus Bosporus“ oder „Morbus Meditarranus“, um damit anzudeuten, dass bestimme ethnische Gruppen empfindlicher seien, was Schmerzen und andere Symptome anginge als andere. Solche Beobachtungen werden die meisten Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten schon gemacht haben. So habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass durch einen Arzt einer türkisch-deutschen Frau mittleren Alters, die Bauchschmerzen abgesprochen wurden. Später stellte sich dann heraus, dass diese eine Appendizitis2 hatte und dringend operiert werden musste. Eine ausreichende Schmerztherapie fand mit Verweis auf „Morbus Bosporus“ nicht statt. Dabei werden diese Bezeichnungen vor allem bei Frauen eingesetzt. Es zeigt sich dabei eben auch, selbst das System, das alle Menschen gleich behandeln sollte, Unterschiede macht.

In Studien zeigt sich darüberhinaus aber auch, dass Frauen statistisch gesehen, nicht nur bei Schmerzen eine schlechtere Therapie erhalten, sondern eben auch im Outcome schlechter gestellt sind, als Männer mit der gleichen Diagnose und gleichen Prediktoren. So zeigt sich, dass das weibliche Geschlecht nach schweren Unfällen häufig mit einer höheren Mortalität und Morbidität korreliert, obwohl Frauen seltener in schwere Unfälle verwickelt sind, als Männer. Gleichzeitig zeigen Frauen zum Beispiel bei Autounfällen häufig schwerere Verletzungen als Männer, da Autos heutzutage eher für die Männliche Anatomie entwickelt werden und Crashtest vor allem mit Dummies stattfinden, die dem männlichen Körper nachempfunden sind. Aber auch in der Medizinischen Ausbildung wird der männliche Körper häufig noch als die Norm und der weibliche Körper als Abweichung gezeigt und bezeichnet. Auch Medikamente werden in vielen Zulassungsstudien vor allem an Männern getestet, da der weibliche Zyklus die Wirkung von Medikamenten verkomplizieren würde.

Am Ende lässt sich sagen, dass Probleme wie Sexismus und Rassismus selbstverständlich auch im Gesundheitssystem auftauchen. Diesen muss entschieden entgegen getreten werden. So sollten sich alle, die im Gesundheitssystem arbeiten immer wieder daran erinnern, dass sie sich strukturell rassistisch und sexistisch verhalten und ihr Verhalten immer wieder hinterfragen.

  1. Bei den meisten Untersuchungen dazu wird nur zwischen Frauen und Männern unterschieden. Dementsprechend werde ich in diesem Beitrag auch nur zwischen den binären Geschlechtern unterscheiden. Dass es Gender auch außerhalb des binären Systems liegen kann, ist für mich ansonsten aber eine Selbstverständlichkeit.
  2. Eine Entzündung des Wurmfortsatzes (Appendix vermiformis) des Blinddarms

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