Freitagsdemos fürs Klima – Ein Überblick über den Grundrechtskonflikt

von Philipp Roller[1]

Freitagsdemos der Klimabewegung „Fridays for Future“ sind in Deutschland nichts neues mehr. Die Bewegung ruft dennoch weiterhin zu Demonstrationen und Streiks am Freitagmittag auf und weiterhin ist die öffentliche Meinung zu diesem Thema zerstritten. So kritisieren viele das Fernbleiben der Schüler[2] vom Unterricht und die damit einhergehende Missachtung der Schulpflicht. Befürworter sehen eine schützenswerte Ausübung der Demonstrationsfreiheit, die in Anbetracht der Gefahr des Klimawandels das kleinere Übel sei. Rechtlich kollidiert das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG mit der Schulpflicht. Im Folgenden ist dieser Meinungsstand überblicksartig dargestellt.

Die Schulpflicht, die aufgrund der Kultushoheit der Länder in den entsprechenden Landesschulgesetzen kodifiziert ist, verpflichtet alle Schüler an der Teilhabe am Unterricht. Nur bei regelmäßigem und vollzähligem Erscheinen der Jugendlichen kann der Staat seinen Bildungsauftrag, der sich aus Art. 7 I GG in Verbindung mit den entsprechenden Landesverfassungen ergibt, erfüllen. Auf dieser Grundlage kritisieren Politiker wie Theresa May und Annegret Kramp-Karrenbauer den Schulausfall und stellen Sanktionen in Aussicht. Eine Literaturansicht stellt jedoch fest, dass bereits die Schulpflicht einen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff darstellt. In der öffentlichen Debatte würde oft der Eindruck erweckt, Demonstranten müssten ihr Fernbleiben rechtfertigen. Dies verkenne die grundsätzliche Verteilung der Rechtfertigungslasten für staatliches Handeln. Da der Staat in die allgemeine Handlungsfreiheit der Schüler aus Art. 2 I GG und das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 II 1 GG eingreift, müsse er sich für die Schulpflicht rechtfertigen.[3] Insoweit stellt sich die Frage, ob diese Rechtfertigung gelingt.

Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut der demokratischen Rechtsordnung, auf das sich auch Schüler berufen können. Insbesondere die Inanspruchnahme von Schulzeit ist eine versammlungstypische Ausreizung, die den „Streikcharakter“ unterstreichen und den Demonstrationen Gewicht geben soll.[4] Die Wahl eines anderen Zeitpunktes, zum Beispiel nach der Schule, eignet sich deshalb nicht als Verbotsrechtfertigung. Jedoch dürfen Proteste auch nicht die Schulzeit zerlöchern. Deshalb muss Versammlungsfreiheit und Schulpflicht im Wege der praktischen Konkordanz, also dem möglichst schonenden Vereinen kollidierender Grundrechte, in Einklang gebracht werden. Dabei darf keines der Rechte völlig zurücktreten. Ein Anspruch auf Befreiung vom Unterricht wird aus diesem Grund gemeinhin abgelehnt.[5] Andererseits ist auch das pauschale Verbot der Demos oder der Teilnahme an solchen unverhältnismäßig. Insbesondere ist zu beachten, dass das Demonstrieren für politische Zwecke eigentlich im Einklang mit den staatlichen Bildungszielen steht. Die Organisation und Teilnahme an politischen Versammlungen fördert das politische Engagement und gibt einen frühen Einblick in die praktischen Ausprägungen der Demokratie. So hat das nordrhein-westfälische Schulministerium darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an „FFF-Demos“ auch als Unterrichtsveranstaltung an einem außerschulischen Lernort möglich sei.

Ein pauschales Verbot oder eine konsequente Bestrafung bedürfen nach herrschender Literaturmeinung einer äußerst genauen und vielschichtigen Abwägung, weshalb diese wohl oft grundrechtswidrig sind. Es wird gefordert, dass ein Schüler zumindest einmal im Jahr an einer Demo während der Schulzeit teilnehmen können sollte.[6] Andererseits kann der Bildungsauftrag des Staates nicht erfüllt werden, wenn regelmäßig Schüler fehlen. Deshalb müssen Jugendliche die Zahl der Demoteilnahmen in einem Maß halten, das eine Durchführung der Lehre nicht erheblich einschränkt. Schulen sollten das politische Engagement nutzen und in den Unterricht integrieren.

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[1] Der Autor ist Student der Rechtswissenschaft und studentische Hilfskraft am Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier.

[2] In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet, es sind immer alle Geschlechter angesprochen.

[3] Friedrich NVwZ 2019, 598, 599.

[4] Ebenso Lührs/Kroemer JuS 2021, 421, 425.

[5] Friedrich NVwZ 2019, 598, 604 f; ebenso Keuchen, BayVBl. 2020, 43.

[6] Keuchen BayVBl 2020, 43, 48.

Dieser Text spiegelt die Meinung des Autors wieder und nicht notwendigerweise die des Herausgebers

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